Warum stützt die Katholische Kirche bestimmte Ansprüche, die im Gegensatz zur Meinung vieler Leute stehen?

Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben sich bestimmte Grundprinzipien herauskristallisiert, die das Zusammenleben der Gesellschaft regeln. Diese Prinzipien nennt man auch Werte. Zu den höchsten Werten gehören das Leben und die Würde des Menschen. Andere Werte sind die Treue, die Freundschaft oder die Demut. An diesen Grundpfeilern sollen sich die eigenen Entscheidungen orientieren. Sie gewährleisten, daß sich der einzelne in der Gesellschaft entfalten und seine Fähigkeit zur Geltung bringen kann, ohne die Freiheit der anderen zu beeinträchtigen.

Werte sind nicht von außen aufgedrückte Doktrinen, sondern entspringen der Lebenserfahrung des Menschen. Jeder sieht ein, daß die Freundschaft ein Wert ist, hat man doch selbst die Sehnsucht in sich, einen guten Freund zu kennen, dem man vertrauen kann.

Diese Werte sind bestätigt in den Zehn Geboten, die Gott im Alten Testament dem Moses offenbart hat. Mit den Zehn Geboten hat Gott darüber hinaus einen Bund mit den Menschen geschlossen. Er macht sich damit die Sorge um das Wohl des Menschen zueigen. Ein Verstoß gegen den Menschen ist damit auch ein Verstoß gegen Gott.

Gegen die Menschenwürde verstößt es, Wehrlose auszubeuten oder zu unterdrücken, Menschen, die leiden, allein zu lassen oder solche, die nicht schreiben können das Alphabet vorzuenthalten.

Auf diesen und anderen Gebieten tritt die Kirche in ungezählten Initiativen für die Schwachen und solche ein, die nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Selbst kritische Geister erkennen ihre Leistungen unter den Armen und Benachteiligten an. Manche hätten gerne, wenn sich die Kirche nur auf die Lösung sozialer Fragen beschränkt.

Es stimmt, daß Jesus seine Jünger und jene, die ihm nachfolgen zur Solidarität aufruft. Das höchste Gebot ist, Gott und den Nächsten zu lieben. Jesus sagt aber auch: „Das Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein. Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Körper finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muß dann die Finsternis sein” (Mt 6,22). Nach den Worten Jesu gibt die Orientierung an den Geboten Gottes dem Menschen Licht. Sie führen ihn in die Freiheit. Die Gebote haben für immer Bestand und sind nicht abhängig vom gerade aktuellen Zeitgeist.

Als die Zehn Gebote aufgeschrieben wurden oder zur Zeit Jesu kannte man die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung oder die Abtreibung noch nicht. Aufgabe der Kirche ist es, Situationen unserer Zeit im Lichte der Gebote Gottes zu beurteilen. Abtreibung kann sie nicht gutheißen, weil sie Tötung ist. Wenn die Kirche nicht Zeugnis ablegt von dem Licht, das Christus ist, wer wird dann das Licht finden?

Jesus ist sehr streng mit denen, die die moralischen Ansprüche nach ihrer Art verdrehen und versuchen, aus dem Bösen etwas Gutes zu machen: „Wer eines von diesen Kleinen, die an mich glauben zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde” (Mk 9,42).

In der Nachfolge Christi gibt die Kirche das Licht weiter, was es auch koste. Das tut sie, ja sie muß es sogar tun, sonst wird sie ihrem Auftrag nicht gerecht. Sie muß Handlungen, die gegen die Würde des Menschen gerichtet sind, verurteilen. Aber im Gegensatz zu weltlichen Gerichten verurteilt sie damit nicht den Menschen, der etwas Böses getan hat, sondern sie klagt die Sünde an. Mit Jesus antwortet sie: „Ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige nicht mehr.” Die Vergebung Gottes gibt die Kirche durch den Priester im Sakrament der Versöhnung. Die Kirche sagt also, daß die Abtreibung schlecht ist. Aber sie vergibt denen, die abgetrieben oder Frauen dazu gedrängthaben.

Glaubt man nicht mehr an Gott, verschwindet die Möglichkeit der Vergebung. Das ist eine Schwierigkeit unserer Zeit: Gibt es keinen Gott, dann auch keine Barmherzigkeit. Also werden wir versuchen, unsere Gewissensbisse zu verdrängen oder zu sagen, daß das Böse gut ist.

Haben wir Gewissenszweifel, wenn wir nicht sicher sind, ob eine Handlung, die wir tun wollen oder die wir getan haben, richtig ist, bietet die Lehre der Kirche, die die Gebote Gottes auslegt, eine wertvolle Orientierungshilfe. Die Kirche ist somit Beschützerin des Gewissens und zeigt, daß der Mensch mehr wert ist als das, was er versucht ist zu tun. Sie bezeugt das im Martyrium.


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